Letztens googelte ich meinen Namen und war erstaunt, sogleich „Olivia Wollinger vorher nachher“ als Suchbegriff vorgeschlagen zu bekommen.

Daraus schließe ich, dass viele Menschen sehen möchten, wie ich aussah, bevor ich von meiner Essstörung geheilt war.

Ich kann diesen Wunsch nachvollziehen, dennoch muss ich Sie leider enttäuschen.

Olivia Wollinger vheute

Warum gibt es von mir keine vorher nachher Fotos?

Als sich 1993 (also mit 21 Jahren) die ersten Essanfälle in mein Leben schlichen und ich mit strikten Diäten anfing, wog ich ungefähr so viel wie heute. Unbegreiflich aus heutiger Sicht, dass ich mich damals als unförmig und viel zu dick erlebte, nicht wahr?

Irgendwann konnte ich die vielen Essanfälle durch Fasten nicht mehr ausgleichen und nahm stetig an Gewicht zu, was bestimmt auch an meinem malträtierten Stoffwechsel lag.

Drei Jahre später, 1996 wurde mir klar, dass ich an einer Essstörung litt. Ich konnte mich nicht mehr kasteien und es kam die Phase, in der ich mir all jenes Essen erlaubte, das ich mir jahrelang verbot. Damals nahm ich nochmals zu und erreichte mein Höchstgewicht.

Als ich danach nicht mehr nach allem Verbotenem gierte, nahm ich ohne Diät ab und mein Gewicht stabilisierte sich auf einem deutlich höheren Niveau als zu Beginn meiner Esstörung. Dennoch begann ich langsam, Frieden mit meinem Körper zu schließen. Es war für mich erleichternd, keine großen Gewichtsschwankungen mehr erleben zu müssen und auch keine Angst mehr davor zu haben. Mein Stoffwechsel erholte sich langsam.

Ich begann an mir zu arbeiten und nicht nur mein Essverhalten veränderte sich Schritt für Schritt, sondern mein ganzes Leben.

Welche Fotos sollte ich für den vorher nachher Vergleich wählen?

Als ich meinen Gewichtshöchststand hatte, hatte ich erstmals das Gefühl am richtigen Weg zu sein. Dieses Gefühl würde durch ein Foto allerdings nicht transportiert werden.

Als sich dann mein Gewicht auf einem gleichbleibend hohen Niveau einpendelte, fühlte ich mich in meiner Haut wesentlich wohler als vor meiner Essstörung, weil die Kasteiung und der Kampf gegen mich selbst endlich aufhören durfte. Auch das würde man auf dem Foto nicht sehen.

Wenn ich ein Foto zum Beginn meiner Esssucht-Zeit wählen würde, würde der Vergleich ebenfalls hinken: Auf jenen Fotos sieht man eine junge Frau, die freundlich in die Kamera lächelt. Man würde nicht erkennen, wie unglücklich und hässlich ich mich fühlte und wie sehr ich bemüht war, meinen Bauch einzuziehen.

Dazu kommt, dass dies noch die Zeit vor der Digital-Fotografie war. Die wenigen Fotos, die es von mir damals gibt, sind in mäßiger Qualität. Auch hier würde der Vergleich hinken.

Der Prozess der Heilung ist vielschichtiger als ein Foto

Der Weg zu meinem Wohlfühlgewicht und Wohlfühlleben war ein Prozess, der einige Jahre dauerte, mit vielen Höhen und Tiefen. Einfach nur vorher nachher Fotos zu vergleichen, würde dem allen nicht gerecht werden.

Außerdem habe ich tiefes Mitgefühl mit meinem früheren ich. Ich weiß noch, wie unendlich ich mich schämte, wenn Fotos von mir auftauchten, auf denen man meine Gewichtszunahme deutlich erkennen konnte. Obwohl ich spürte, dass ich auf dem Weg zur Heilung diese Kilos brauchte, war es dennoch schwierig für mich, im außen dazu zu stehen.

Viele Fotos zeigte ich damals nicht mal engen Freundinnen. Daher möchte ich diese nun auch nicht mit der Welt teilen, um mein jüngeres ich – dieses sensible, verletzliche Wesen, das sich so unendlich anstrengte gesund zu werden, zu schützen und mit Respekt zu behandeln. In meinem Buch Essanfälle ade teile ich sehr viele, sehr persönliche Dinge. Aber einiges darf und soll persönlich bleiben.

Ein Akt der gelebten Selbstliebe, sozusagen.

Beim Weg aus der Essstörung geht es nicht vorrangig um Gewichtsverlust

Am Weg aus der Essstörung geht es um so viel mehr, als nur darum, seine äußere Form zu gewinnen. Natürlich strahle ich heute mehr als damals, denn heute weiß ich wer ich bin, ich bin in mir angekommen und ich fühle mich wohl in meinem Leben. Das zeigt sich in meinem gesamten Wesen.

Letztendlich zeigt es sich das auch daran, dass ich heute nur noch wenig emotionales Essen brauche. Das wirkte sich naturgemäß auf mein Gewicht aus.

Der Prozess, durch den ich ging, lässt sich also nicht nur auf ein plakatives: „Schau, wie schrecklich ich damals aussah“ und „Schau, wie toll ich jetzt aussehe“ reduzieren und schon gar nicht mit einer Zahl auf der Waage.

Was ich gerne mit Ihnen teile

Was ich sehr gerne mit Ihnen und der Welt teile ist, wie ich mich veränderte, seit ich hauptberuflich Menschen begleite. Seit damals kursieren Bilder von mir im Internet, sind also öffentlich zugänglich.

Es gibt kaum visuelle Vorbilder für gutes Altern

Ich finde es so wichtig, dass es mehr Rollenvorbilder gibt zum Thema natürlich altern. Vielleicht darf ja ich eines dieser neuen Rollenbilder sein? Ich finde, dass ich das mit dem älter werden bisher ganz gut hinbekomme 🙂

Beide Fotos wurden in meiner Praxis in Wien aufgenommen.

Das ältere Foto zeigt mich 2010. Es war das Jahr der Umbrüche, privat wie auch beruflich. Damals hatte ich das große Glück, ein Jahr Bildungskarenz nehmen zu dürfen. Diese Zeit war wichtig um herauszufinden: Ich könnte es schaffen, nur von der Arbeit mit Menschen in meiner Praxis zu leben. Seit 2011 bin ich selbständig.

Auf dem anderen Foto sehen Sie mich 2018, mittlerweile 46 Jahre alt und ein paar graue Strähnen mehr. Ich fühle mich wesentlich mehr in mir angekommen als im Jahr 2010. Sie sehen also: Kriterium der Veränderung ist nicht nur schlank ja oder nein. Es ist so viel mehr.

heutefrüher 2010

Schreiben Sie mir in den Kommentaren!

Hätten Sie sich auch ein vorher – nachher Foto von mir gewünscht? Können Sie meine Argumentation verstehen?

Weiterlesen

  • Noch mehr Details über meinen Werdegang können Sie hier nachlesen.
  • Welchen Weg ich aus meiner Esssucht gegangen bin, können Sie in meinem Buch Essanfälle ade * nachlesen. Das ist im Buchhandel erhältlich.