Ist es wahr, dass ich nur geliebt werde, wenn ich keine Bedürfnisse habe?!

Immer wieder begleite ich Klientinnen, die in Liebesbeziehungen möglichst unkompliziert, bedürfnislos, easy … sein möchten. Sie meinen, dass sie nur dann geliebt werden, wenn sie keine Ecken und Kanten zeigen. Dieses „ich möchte perfekt in meiner Beziehung sein“ kommt besonders oft bei Frauen mit Esssucht vor.

Spielen wir das einmal gedanklich durch

(ich zeichne hier bewusst ein starkes schwarz/weiß Bild um zu veranschaulichen was ich meine … die Realität hat natürlich viele Grauschattierungen):

Stellen Sie sich vor:

Mann trifft Frau.
Beide verlieben sich ineinander.
Es folgt die wunderbare Verliebtheitsphase voller Glück und Enthusiasmus.

Mann: „Möchtest Du zu mir zum Fußballmatch gehen?“ – Frau: „Klar, ist ja voll interessant“.
Mann: „Magst Du mit mir den Action Film ansehen“ – Frau: „Ja super, freu mich schon!“.
Mann: „Ich mache am liebsten Urlaub in Griechenland“ – Frau: „das wäre schön gemeinsam in Griechenland!!“

Und so weiter und so fort. Bis 2:00 wach bleiben und am nächsten Tag ins Büro? Kein Problem! Auf einen hohen Berg gehen: Kein Problem.  Alles super, alles easy, mit vollem Enthusiasmus und Energie dabei.

Der Mann kann es gar nicht fassen: ENDLICH hat er sein perfektes Gegenstück gefunden! Eine Frau die auf Fußball und Action Filme steht, die auch gerne Urlaub in der Sonne macht, gerne lange ausgeht und noch dazu mit seiner Kondition mithalten kann … wow!!!

Die Frau ist auch voll verliebt, voller Energie! Sie spürt, dass sie die Traumfrau dieses Mannes ist. Endlich angekommen!!! Alles ist perfekt.

Doch auch die größte Verliebtheitsphase geht irgendwann in den Alltag über.

Dann macht die Frau vielleicht – bedürfnislos und angepasst wie sie gerne sein möchte – noch immer alles mit … doch irgendwie schafft sie es nicht mehr mit derselben Begeisterung vom Anfang. Dann sitzt sie vielleicht beim Fußballmatch mit versteinerter Miene, sagt aber: „Alles gut mein Schatz, Hauptsache wir verbringen Zeit miteinander“. Sie geht vielleicht in den Action Film mit und bemüht sich aber irgendwie langweilt sie der Film und das kann sie kaum verbergen und gähnt unentwegt. Sie geht auf den Berg aber irgendwie ist es ihr zu viel … und überhaupt tut ihr zu viel Sonne nicht gut … aber sie sagt nichts. Sie bemüht sich alles mitzumachen, interessiert zu sein. Sie will ja perfekt und bedürfnislos sein.

Das heißt sie sagt das eine, strahlt aber das andere aus. Doppelbotschaften.

Der Mann spürt immer mehr, dass etwas nicht stimmt. Er wundert sich, dass seine Freundin nicht mehr mit voller Energie dabei ist. Konflikte entstehen und das Traumpaar-Image bröckelt, vielleicht endet die Beziehung.

Wäre es nicht besser von Anfang an zu sagen: Du, ich komm gerne mal mit zum Fußball, hab ich noch nie ausprobiert und dann sehen wir ja ob es mir gefällt. Oder was ist dabei dazu zu stehen, dass man eben auf Hugh Grant Schnulzen steht? Und ist es nicht wichtig dem Partner zu sagen, dass man unbedingt mindestens 8 Stunden Schlaf braucht, weil man im Büro sonst leistungsunfähig ist? Und sollte er nicht wissen, dass er eben keine Leistungssportlerin an seiner Seite hat? Wäre es nicht wichtig für ihn, dass er weiß, dass man am liebsten in Irland die Urlaube verbringt und lieber im Schatten als an der Sonne ist?

Zu sich zu stehen bedeutet, dass man sich erst einmal kennenlernen muss. Wer bin ich? Was macht mir Freude? Was brauche ich?

Die große Herausforderung in der Beziehung ist es zu wissen, wo es keine Abweichung gibt und wo Kompromisse möglich sind. Zu spüren, wo man sich ändern kann und möchte und was einfach unabänderlich ist, weil es zu unserem Charakter gehört.Mit diesem Wissen ist es dann möglich, gemeinsam Lösungen finden, sodass beide ihre Vorlieben leben können und doch ein Paar sind.

Das ist dann gelebte, authentische Beziehung mit echter Chance einer wahren Begegnung … und keine perfekte Show.