Im Internet kursieren unzählige Tipps, wie man sich zu Muskeltraining motivieren kann.
Wirkt bei dir keiner dieser Tipps nachhaltig?
Dann lade ich dich ein, mit mir gemeinsam
mögliche tieferliegende Ursachen deiner Trainings-Unlust zu erforschen.
Dieser Blog-Artikel richtet sich nicht an SportlerInnen,
sondern an Menschen, die sich schwer tun, ihre Muskeln anzustrengen.
Warum kann ich mich nicht zum Training motivieren?
Insbesondere wenn man Probleme mit dem Bewegungsapparat hat, sind gezieltes Muskeltraining bzw. Dehnungsübungen wichtig für unsere körperliche Gesundheit.
Meine Erfahrung ist, dass z.B. bei Rückenschmerzen normale Alltagsbewegung leider nicht ausreicht, um den Rücken zu stabilisieren.
Vor allem wenn man älter wird, muss man auf den Erhalt seiner Muskelkraft achten, sonst gehen gewisse Fähigkeiten verloren, wie z.B. das mühelose Aufheben eines Gegenstandes vom Boden.
Viele Menschen verspüren allerdings Widerstand gegenüber Körperübungen.
Dieser Widerstand kann so groß sein, dass er uns lähmt und bewegungsunfähig macht.
Das wiederum kann zu Scham- und Schuldgefühlen führen, die allzu oft mit emotionalem Essen besänftigt werden.
Wieso ist das so?
Wieso kann ich Dinge, von denen ich weiß, dass sie gut für mich wären, nicht ausführen?
Auch wenn wir es vom Kopf her gerne anders haben wollen:
Unser Körper-System hat eigentlich immer gute Gründe, wieso es so reagiert und nicht anders.
Schauen wir gemeinsam zu möglichen Ursachen des Widerstands, alles Begebenheiten die mir in meinem Praxisalltag oder meinem eigenen Leben begegnet sind:
1.: Möglicherweise hast du schlechte Erfahrungen mit Sport gemacht
Viele meiner Klientinnen wurden nachhaltig vom Schulsport geschädigt.
(hier gendere ich nicht, da ich derzeit nur Frauen in meiner Praxis begleite)
Oft wird in diesem Zusammenhang das berüchtigte Auswahlverfahren beim Völkerball thematisiert:
Der/die „TeamchefIn“ durfte seine/ihre SpielerInnen auswählen. Es war eine große Demütigung, als Letzte/r gnadenhalber in eine Gruppe aufgenommen zu werden.
Großes Potential für Demütigungen lieferten auch die Reckstange (Felgeaufschwung schafft nicht jede/r) und das Bockspringen (da drüber zu springen braucht echt viel Mut).
Oder ein Mädchen war das jüngste und damit das langsamste Kind in der Familie. Auf Radtouren warteten die Größeren zwar, allerdings immer nur so lange, bis das Mädchen aufgeholt hatte. Da kamen dann Tränen statt Pausen.
Darüber hinaus passierten blöde Bemerkungen der Mitmenschen wie z.B. die Aussage der Ballett-Lehrerin „Du siehst aus wie ein weißer Mehlsack“ zu einem Mädchen mit Bäuchlein und weißem Trikot.
Wie wirken sich vergangenen Verletzungen im Jetzt aus?
Wenn Beschämungen oder Überforderung im Sport öfters passiert sind, kann es sein, dass unser Muskel-Gedächtnis mit entsprechender Anspannung, vielleicht sogar mit Starre reagiert, sobald der Körper Sport machen „muss“.
Das bedeutet, dass bei Anstrengung die frühen Verletzungen angetriggert werden.
Dies passiert unbewusst und ist daher für uns nicht direkt wahrnehmbar.
Was wir bemerken können ist die indirekte Reaktion z.B. in Form eines starken inneren Gefühls von Widerstand.
2.: Möglicherweise lebst du von deinem Körper entkoppelt?
Viele Menschen sind von ihrem Körper entkoppelt. Das fühlt sich an, als ob es vom Kopf kaum oder keine Verbindung zum restlichen Körper gäbe.
Solche Entkoppelungen entstehen, wenn es in unserer Vergangenheit sicherer war, unseren Körper bzw. unsere Gefühle nicht so genau zu spüren.
Sogar von uns als „unwesentlich“ bewertete Erlebnisse können uns aus dem Körper katapultieren. Ein Beispiel dafür habe ich in diesem Blogartikel beschrieben: „Wie fühlen sich unterdrückte Gefühle an.“
Muskeln können vielleicht nicht angesteuert werden
Unseren Körper bzw. unsere Gefühle nicht zu spüren, war damals ein wirksames Schutzsystem.
Was früher notwendig war, kann uns im Heute allerdings ganz schön behindern.
Beispielsweise kann es sein, dass wir Muskeln nicht differenziert genug wahrnehmen können. Kräftigungsübung könnten dann zwar irgendwie durchführen werden, allerdings ohne die betreffenden Muskeln ansteuern zu können.
Das macht das Training weniger effizient. Der Nutzen der Anstrengung ist weniger erfahrbar, was zu Widerstand führen kann.
Die Verbindung zum Körper wird als unangenehm empfunden
Ein weiteres Zeichen für Abkoppelung könnte sein, wenn du das Bedürfnis hast, dich beim Training von deinem Körper abzulenken, z.B. mit Podcasts oder Filmen.
Auf einer unbewussten Ebene ist es dem früh verletzten System unangenehm, gespürt zu werden.
Doch wie effizient ist Muskel-Training, bei dem du defacto nicht anwesend bist?
Oder vielleicht empfindest du Schwitzen aufgrund von körperlicher Anstrengung als unangenehm, weil du dann deinen Körper mehr spüren „musst“?
Im Buch von Pete Walker (Posttraumatische Belastungsstörung) las ich, dass es für Menschen mit frühen seelischen Verletzungen sehr wichtig sei, Muskel zu dehnen. Denn wenn man emotionalen Stress erleidet, ziehen sich die Muskeln zusammen.
Könnte es da einen Zusammenhang geben, wieso wir Widerstand gegen das Dehnen von Muskeln spüren? Die Muskel zogen sich zu unserem Schutz zusammen. Vielleicht erleben sie das Gegenteil als bedrohlich?
3.: Hast du gelernt, für dich zu sorgen?
Für uns zu sorgen heißt auch, dass wir unsere Prioritäten FÜR uns ausrichten.
Viele Menschen mit frühen seelischen Verletzungen haben allerdings nicht gelernt, sich selbst wichtig genug zu nehmen.
Daher kann es zu einem Gefühl von Widerstand führen, sich die Zeit für die Pflege des Körpers zu nehmen.
Manchmal ist die notwendige Zeit vorhanden, dennoch wird sie nicht genutzt sondern mit anderen Dingen gefüllt, wie z.B. Binge-Watching von Serien oder Social Media.
In der Essstörung kann so mancher Essanfall das Vorhaben „Ich muss Sport machen“ boykottieren.
In Wahrheit ist es das innere Gefühl, das sich sperrt, nur gibt es dazu noch keinen Zugang.
4.: Vielleicht wirkt ein früher Unfall nach
In den Rosen-Methode-Stunden erlebte ich bereits mehrfach, dass alte Unfälle im heute noch immer im Muskelgedächtnis gespeichert sind.
Der betroffene Körperteil, beispielsweise das Bein, fühlt sich starr und unbeweglich an und löst – auf unbewusster Ebene – Widerstand aus, es zu bewegen.
5.: Möglicherweise sind deine Muskeln unter Daueranspannung
Die Aufgabe eines Muskels ist es, sich anzuspannen und sich dann wieder zu entspannen.
Wenn wir frühe seelische Verletzungen erfahren haben, kann es sein, dass unsere Muskeln unter Daueranspannung stehen.
Dann ist es kein Wunder, dass Anspannung, die noch oben drauf kommt, also Muskeltraining, als zu viel erlebt wird.
Oft kommt dann zu dieser Grundanspannung noch die Anspannung des Alltags hinzu.
Wenn die ganze Energie für den Alltag drauf geht, ist es kaum möglich, noch mehr Energie für Körperübungen aufzubringen.
Es entsteht Widerstand.
6.: Möglicherweise war der Druck viele Jahre zu groß
Wenn man sich jahrelang, vielleicht sogar jahrzehntelang zu Sport gezwungen hat, kann man irgendwann nicht mehr.
Wieso zwingen sich Menschen zum Sport?
Viele meiner Klientinnen waren beispielsweise von Essstörungen betroffen.
Teil dieser Krankheit ist der große Wunsch, einen schlanken Körper zu haben. Dafür wird viel Unbill in Kauf genommen, so auch stundenlanges Training, obwohl eigentlich keine Lust dafür vorhanden ist.
Die Entscheidung Sport zu machen kam aus dem Kopf, nicht aus einem körperlichen Bedürfnis heraus.
Kein Wunder also, wenn der Widerstand laut wird.
7.: Vielleicht war es für dich wichtig, schwach zu sein
Bist du es gewohnt, dein Licht unter den Scheffel zu stellen, dich klein zu machen, dein wahres Wesen zu verstecken?
All das ist das Gegenteil von Muskelkraft, denn diese bedeutet sich aufrichten, sich zeigen, sich groß machen.
Vielleicht fühlt es sich für dein System – auf unbewusster Ebene – bedrohlich an, stärker zu werden?
Vielleicht kommt daher der Widerstand?
8.: Vielleicht bremsen dich Vergleiche mit anderen
Es ist unglaublich, wieviele Fitness Dinge es auf den Sozialen Medien gibt.
So gibt es Videoanleitungen zu jedem einzelnen Körperteil, zu jeder Yoga-Richtung und zu allen Fitness-Geräten.
Das kann ein Segen und auch ein Fluch sein.
Beispielsweise kann es demotivierend wirken, wenn man als unsportlicher Mensch die Übungen, die im Video vorgeturnt werden, nicht nachmachen kann.
Selbst wenn gesagt wird: „Du kannst die Übung an dein Niveau anpassen“, hilft das nicht immer, um sich besser besser zu fühlen.
9.: Verlangst du zu viel von dir?
Wenn du längere Zeit keinen Sport gemacht hast und du es dann mit Volldampf angehst, kann es sein, dass dein Drive schnell wieder abflacht und du daraufhin wieder nichts machst.
Zudem kann zu schnell und zu viel Training zu unangenehmen Verletzungen führen, wie z.B. Fersensporn, Rhabdomyolyse (= Auflösung von Muskelfasern) und anderes, was die Motivation naturgemäß stoppt.
Verständlich, wenn uns der Widerstand bremst.
10.: Vielleicht beschimpfst du dich laufend
Wenn wir Sport machen sollten und nicht wollen, kommt es oft vor, dass wir uns beschimpfen.
„Undiszipliniert“ und „faul“ sind hier noch die freundlichsten Zuschreibungen, die wir für uns selbst verwenden.
Wir denken, dass wir uns motivieren, wenn wir streng zu uns sind, uns antreiben, uns in den Hintern treten und den Schweinehund besiegen.
Besiegen heißt kämpfen. Ist der Kampf gegen uns selbst langfristig wirklich motivierend? Oder führt er vielleicht zu noch mehr Widerstand?
Effizientes Muskeltraining kann sich unangenehm anfühlen, wie ein leichtes Brennen. Wenn wir uns bereits im täglichen Leben ständig Schmerzen zufügen, wer will dann noch mehr davon?
Auf alle Fälle ist es traurig, wenn wir mit uns sprechen, wie wir es mit niemand anderen tun würden.
Fortsetzung folgt …
Es bringt langfristig wenig, voll oder gar nicht zu trainieren. Es braucht Balance im Alltag.
Wie das funktionieren könnte, erfährst du im zweiten Teil dieses Artikels.
Magst du deine Geschichte teilen?
In diesem Blog ist es möglich zu kommentieren, auch gerne anonym.
Mich würde interessieren:
- Musstest du in deiner Kindheit auch schlimme Sporterfahrungen machen?
- Hast du deinen Widerstand gegen Sport bereits erforscht? Was konntest du dabei lernen?
Liebe Olivia, wenn ich nicht gerade im Bus stehen würde hätte ich jetzt geweint. Die meisten deiner Punkte treffen voll auf mich zu. Es ist häufig so dass ich bei der Bewegung denke, „ich will mich nicht spüren“. Eine ganze Zeit lang ging es gut, im Moment wieder nicht. Ich versuche mehr Bewegung in den Alltag einzubauen, aber auch das fühlt sich wie zusätzlicher Druck an. Meine Kiefermuskeln sind dauergespannt, ich weiß schon gar nicht mehr wie man den Unterkiefer hält, oder eben NICHT hält, damit er entspannt ist. Ich beiße oft die Zähne zusammen – nur nachts schützt die Schiene meine Zähne.
Gerade bin ich etwas ratlos wie ich mich da liebevoll selbst halten kann.
Danke für deine Rückmeldung, ich freue mich, dass mein Artikel hier scheinbar ins Schwarze getroffen hat. Ich arbeite gerade an Teil zwei, ich hoffe, dass darin ein paar hilfreiche Anregungen für dich dabei sein werden. Liebe Grüße, Olivia
Hallo Olivia,
mich hat gleich Punkt 1 getroffen, die schlechten Erfahrungen. Ich hatte immer panische Angst vor dem Geräteturnen, ich bin eher klein und hatte keine Ahnung wie ich auf oder über diese blöden Geräte kommen sollte. Alles in mir hat sich gesperrt, weil ich große Sorge vor Verletzungen oder peinlichen Momenten hatte.
Mir war nie klar, warum ich gerne Völkerball gespielt habe, da ich mich für unsportlich halte. Ich war immer die erste die gewählt wurde, weil ich so gut fangen konnte und keine Angst vor kräftig geworfenen Bällen hatte.
Meine ganze Familie war und ist unsportlich, mit Ausnahme der regelmäßigen (Zwangs-)Wanderungen am Sonntag im Wald oder im Sommerurlaub in den Bergen in Österreich (es gab auch Phasen wo das Spaß gemacht hat). Und heute wandere ich gerne.
Ich freue mich schon auf die Fortsetzung und werde den Artikel bis dahin nochmal wirken lassen.
Liebe Grüße
Karin
Liebe Olivia,
vielen Dank für den vielseitigen und spannenden Artikel!
Bei mir war es so, dass Sport (Volleyball) viele Jahre mit Leistung (Sieg, Turniere gewinnen) daher kam. Von der großen Mittelangreiferin wurden Punkte erwartet. Ein schlechter Tag wurde schwer akzeptiert, man war enttäuscht. Zeitgleich habe ich Sport als Ausgleich und/oder Strafe für Essanfälle benutzt. Meine ehemalige Lieblingssportart kann ich nicht mehr machen ohne mich an all das zu erinnern und ohne verschiedenen Schmerzen zu bekommen und das hält mich davon ab.
Heute versuche ich darauf zu hören, wann mein Körper Bewegung möchte. Ich nutze Sport immer noch zum Spannungsabbau aber freundlicher und ich bin dankbar, was mein Körper kann. Und erkenne Schmerzen an. Nicht immer, aber ich versuche es.
Ich freue mich auf den nächsten Teil, herzliche Grüße,
Melanie