schreienKinderwunsch ist eng mit der Frage verbunden: „Bin ich eine gute Mutter?“ Doch was genau bedeutet das, eine gute Mutter zu sein?

In meine Praxis ist einer meiner Schwerpunkte die Begleitung von Frauen mit Kinderwunsch. Ich habe im Laufe der Jahre viele Frauen kennengelernt, die beinahe alles tun würden, um ihr Kind zu empfangen, inklusive Hormontherapien. Dann kommt der ersehnte Tag: Schwangerschaftstest positiv.

Ab diesem Moment konnte ich schon oft beobachten, dass das Denken dann nicht mehr um „wie kann ich empfangen“ kreist, sondern um das Thema: „bin ich eine gute Mutter?“. Die Frauen haben so lange gewartet, gebangt, gehofft, versucht, gewünscht, …. dass sie nun, wo das Kind endlich da ist, möglichst „alles“ richtig machen möchten. Grundsätzlich ein gutes Ansinnen doch manchmal kann „gut“ auch „zu gut“ sein.

Im „Psychologie heute“ (Der Artikel stammt aus der Ausgabe Februar 2010) las ich dazu einen spannenden Artikel, in dem beschrieben wird, dass sich alle Experten einig sind: Eine gute Mutter sollte zwar feinfühlig sein, aber wenn sie in der Beziehung zu ihrem Kind absolute Harmonie anstrebt, läuft sie Gefahr ihrem Kind in seiner Entwicklung ungewollt zu schaden. Es ist ausreichend als Mutter „gut genug“ zu sein statt „perfekt“.

Die „perfekte Mutter“ möchte alles richtig machen: Sie möchte ihrem Kind die ganze Liebe geben, die ihr selbst vielleicht verwehrt geblieben ist. Die „perfekte Mutter“ bemüht sich, ihrem Kind möglichst alle Frustrationserlebnisse zu ersparen. Sie versucht alle Bedürfnisse des Kindes auf der Stelle zu befriedigen. Sie beruhigt das Kind bereits, während die Gemütserregung bei ihm noch im Entstehen ist. Eine „perfekte Mutter“ kann es nicht ertragen, wenn ihr Kind einen kurzen Moment unzufrieden ist. Sie will den Bedürfnissen ihres Kindes am liebsten vorgreifen. Sie will das Kind am liebsten schon füttern, bevor es überhaupt mit einem Hungergefühl aufwacht. Vielleicht weil sie Angst vor den kindlichen Gemütserregungen hat und Spannungszustände nicht aushalten kann. Oder weil sie nicht möchte, dass das Kind auf sie als Mutter wütend wird. Oder sie bemüht sich, genau jene wundervoll liebende Mutter zu sein, sie sie selbst nie hatte.

Umso unverständlicher ist es dann, wenn ein dermaßen geliebtes und umsorgtes Kind anders reagiert als erwartet: Es kann passieren, dass das Kind Aggression zeigt oder Verachtung der Mutter gegenüber (z.B. niemals „danke“, „bitte“ oder „entschuldigung“ sagen). Weiters können Symptome auftreten wie Schlaflosigkeit, Fütterungs-. und Schreistörungen (z.B. Nahrungsannahme nur noch durch den Vater). Bei heranwachsenden Kindern Bauchschmerzen, Spannungskopfschmerzen, Nägelkauen, andauerndes Sichkratzen oder zwanghaftes Essen oder Trinken.

Dahinter steckt das Bedürfnis des Kindes, sich aus dem permanenten Zustand der Symbiose mit der Mutter zu lösen. Das Kind muss und möchte selbst erst lernen, was es eigentlich will oder braucht. Und dafür benötigt es kleine Frustrationserlebnisse, die es im Rahmen seiner Möglichkeiten erfolgreich bewältigen kann.

Es reicht also als Mutter „gut genug“ zu sein, statt „perfekt“. Zu Beginn passt sich die „gut genug“ Mutter voll und ganz an die Bedürfnisse des Babys an. Über die Zeit geht sie jedoch weniger und weniger intensiv auf das Kind ein, parallel zur wachsenden Fähigkeit des Kindes, damit umgehen zu können. Durch schrittweisen Rückzug der Mutter („optimale Frustration“) erlernt das Kind wichtige Fähigkeiten: Es erfährt, dass seine Bedürfnisse nicht immer sofort erfüllt werden können und lernt somit, seine inneren Spannungszustände bis zu einem bestimmten Grad selbst zu regulieren, etwa indem es sich ablenkt der sich mit dem Lutschen am Daumen oder Schnuller selbst beruhigt. Auch erfährt das Kind, dass es bestimmte Situationen selbst steuern kann, z.B. indem es so lange schreit, bis das gewünschte Ergebnis endlich eintritt. Gleichzeitig lernt das Baby, dass Bezugspersonen wie die Mutter gleichzeitig liebenswert und hassenswert sind, also gut und schlecht.

Die „perfekte Mutter“ bietet dem Kind keine Lernerfahrung. Das Baby muss sich weder um die Liebe der Mutter bemühen noch darf es die Erfahrung der Selbstwirksamkeit machen, also lernen, dass eigenes Handeln irgendwann zu einem gewünschten Ergebnis führt. Erfahrungen von Frust und Konflikt sind im Zusammenspiel mit einer erfolgreichen Lösung des Konfliktes wichtig für die kindliche Entwicklung.

Ein Kind zu lieben bedeutet demnach unter anderem auch ein gesundes Maß an Abstand halten, um das Kind in seinem Eigensein wahrnehmen zu können und auch die aggressiven Impulse und heftigen Gemütserregungen, die vom Kind ausgehen, aufnehmen zu können. Vor allem aber müssen wir sie aushalten, um sie dem Kind angemessen widerspiegeln zu können. Nur so kann ein heranwachsendes Kind lernen, die positiven wie negativen Gefühle die im Leben nun mal entstehen, wahrzunehmen und angemessen zu reagieren. 

Wie wird man also gut genug statt perfekt? Es geht um authentisch sein und auch darum, auf die eigenen Bedürfnisse als Mutter zu achten. Dies ist also nicht nur im Sinne der Mutter sondern vor allem auch im Sinne des Kindes.

Loslassen der eigenen hohen Ansprüche an sich selbst ist einfacher gesagt als getan … aber wie heißt es so schön … Wir wachsen mit unseren Aufgaben. Und vielleicht hilft auch alleine das Wissen, dass Überprotektion für das Kind gar nicht so gut ist wie angenommen, sondern dass das Kind die eigenen Erfahrungen dringend braucht – sowohl die positiven als auch die negativen.