Beschäftigt man sich mit Sucht, ist es ratsam, auch dem Thema „Co-Abhängigkeit“ Aufmerksamkeit zu schenken.

Dazu schrieb Anne Wilson Schaef 1986 ein Buch:

Co-Abhängigkeit: Die Sucht hinter der Sucht, Heyne Verlag *

Daraus werde ich gleich ein paar Passagen zitieren.

In den 80er Jahren war die Erforschung dieses Phänomens noch ziemlich am Anfang und wenn, dann wurde der Begriff „Co-Abhängigkeit“ vor allem im Zusammenhang mit Alkoholsucht verwendet.

Mittlerweile weiß man, dass dieses Phänomen auch bei Esssucht vorkommt und überdies ein wichtiges Thema für Kinder von Süchtigen sowie für helfende Berufsgruppen ist.

Co-Abhängigkeit

11 Merkmale der Co-Anhängigkeit

Anne Wilson Schaef definiert ab Seite 55 elf Merkmale der Co-Abhängigkeit.

Als Ex-Esssüchtige kann ich heute von mir sagen, dass ich in meiner Sucht-Zeit von allen beschriebenen Merkmalen betroffen war – von manchen mehr, von anderen weniger, doch ich finde mich in allen wider.

Ich frage mich daher, ob es bei Abhängigkeit weniger um ein entweder Abhängige/r oder Co-Anhängige/r geht, sondern eher um ein sowohl/als auch. Ein interessantes Diskussionsthema!

[Es folgen nun Zitate aus dem Buch von Anne Wilson Schaef]

1.) Außenabhängigkeit

Beziehungssucht

Co-Abhängige sind beziehungssüchtig, d.h. sie benutzen eine Beziehung oft so wie ein Trinker den Alkohol, nämlich als eine Art von „Fix“. Da der Co-Abhängige sich selbst nicht wichtig findet, sucht er seine Bestätigung bei anderen.

Leute, die so ausschließlich fremdbestimmt sind, tun so gut wie alles, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten, ganz gleich wie zerstörerisch sie ist. Co-Abhängige können sich nicht vorstellen, dass sie, so wie sie sind, für andere wertvoll sein könnten, und so geben sie denn auch den kleinen Rest an Selbstwertgefühl bereitwillig auf, wenn es eine Beziehung zu erhalten gibt (…)

Sich nicht abgrenzen können: Der Co-Anhängige weiß buchstäblich nicht, wo er aufhört und wo der andere anfängt. (…) Eben weil der Co-Abhängige sich nicht abgrenzen kann, übernimmt er sie Trauer, die Freude und auch die Angst der Menschen seiner Umgebung, schlicht, alle ihre Empfindungen und Gedanken.  (…)

Täuschungsmanöver

Eine andere Form der Außenorientierung ist, andere zu täuschen, Eindruck schinden zu wollen. Da der Co-Abhängige nicht wirklich zu sich selbst steht, ist es für ihn unbedingt wichtig, dass andere ihn so sehen, wie er gesehen werden möchte. Co-Abhängige wollen, dass die anderen immer einen guten Eindruck von ihnen haben und glauben allen Ernstes, sie könnten sie Wahrnehmung anderer manipulieren.  (…)

Kein Vertrauen in die eigenen Wahrnehmungen: Co-Abhängige neigen dazu, ihren eigenen Wahrnehmungen solange zu misstrauen, bis diese von anderen bestätigt werden. Sie haben vielleicht eine völlig klare intuitive Vorstellung von einem Menschen oder einer Situation, und dennoch werden sie diese als absurd und total unsinnig abtun. (…)

2.) Übertriebene Fürsorge

Da Co-Abhängige ein so niedriges Selbstwertgefühl haben und so sehr auf Bestätigung angewiesen sind, helfen sie so gerne.  (…)

Sich unentbehrlich machen: Co-Abhängige können sich nur schwer vorstellen, dass irgend jemand auf der Welt sie um ihrer selbst willen mögen könnte, also müssen sie sich unentbehrlich machen.  (…)

3.) Körperliche Erkrankung

Co-Abhängige sind Arbeitstiere. Es kostet sie so viel Kraft, für andere zu sorgen, die Dinge im Gang zu halten und – schlicht – zu überleben, dass sie häufig stressbedingte funktionale oder psychosomatische Krankheiten bekommen.  (…)

4.) Selbstbezogenheit

Die Selbstbezogenheit ist beim Co-Abhängigen anders als beim Alkoholiker, aber nicht weniger zerstörerisch (…) Die Selbstbezogenheit des Co-Abhängigen ist von sehr subtiler Art, sind doch Co-Abhängige nicht selten stolz, wie selbstlos sie sind. (…)

Bei Co-Abhängigen zeigt sich die Selbstbezogenheit besonders häufig darin, dass sie glauben, alles was einem für sie wichtigen Menschen passiere, hätte irgendetwas mit ihnen – den Co-Abhängigen – zu tun. Co-Abhängige halten sich tatsächlich für den Mittelpunkt der Welt. Immer wieder kann man hören: „Du siehst so traurig aus! Was habe ich bloß getan?“ (…)

5.) Das Thema der Kontrolle

Für Co-Abhängige ist nichts wichtiger als Kontrolle. Sie glauben wirklich, sie sollten und könnten alles kontrollieren. Je chaotischer die Lage, desto verzweifelter versuchen sie, die Kontrolle zu behalten.  (…)

6.) Gefühle

Nicht in Kontakt sein mit seinen Gefühlen: Co-Abhängige sind so ausschließlich damit beschäftigt, die Erwartungen anderer zu erfüllen, dass sie den Kontakt zu ihren Gefühlen verloren haben.  (…)

Verzerrte Gefühle: Da Co-Abhängige gelernt haben, dass nur „annehmbare“ Gefühle gefühlt werden dürfen, verdrehen sie ihre Gefühle um das Bild aufrechtzuerhalten.  (…)

7.) Unehrlichkeit

Aus vielerlei Gründen sind Co-Abhängige in einem Netz von Lügen verstrickt. Es ist unehrlich, nicht in Kontakt mit seinen Gefühlen zu sein und sie nicht äußern zu können.

Es ist unehrlich, der eigenen Wahrnehmung nicht zu trauen und deswegen nicht mitzuteilen. Es ist unehrlich, ständig nur die Erwartungen anderer erfüllen zu wollen, gleich ob sie für einen selbst passen oder nicht. Es ist unehrlich, Täuschungsmanöver zu inszenieren.  (…)

8.) Egozentrik

Co-Abhängige lechzen danach zu hören: „Ich konnte noch nie so wunderbar mit jemanden reden wie mit dir!“ Ganz tief innen wünschen sich Co-Abhängige das, was sie sich unter der „großen Liebe“ vorstellen, was in ihrer Vorstellung wohl dasselbe sein dürfte wie Verschmelzung. Co-Abhängige fürchten nichts so sehr, wie verlassen zu werden.  (…)

9.) Leichtgläubigkeit

Der Co-Abhängige glaubt fast alles, was man ihm sagt, ganz besonders, wenn ihm das Gesagte ins Konzept passt.  (…)

10.) Verlust der eigenen inneren Moral

Selbstbetrug bedeutet immer Selbstzerstörung (…)

11.) Angst, Starrheit, Rechthaberei

Viel von dem, was Co-Abhängige in ihrem Leben tun, ist von Angst bestimmt. Sie ist der Grundstein jedes Suchtprozesses. Wer ständig in Angst lebt, wird immer starrer werden, in seinem Körper, in Seele und Geist.  (…)

[Zitate Ende]