Als ich noch unter Essstörung litt, las ich einen Artikel der hieß: „So denken schlanke Frauen.“
Da waren Dinge zu lesen wie: „Ich brauche keine ganze Tafel Schokolade, mir reicht ein Stückchen davon.“
Aha.
Diese Information war zwar interessant, aber nicht besonders hilfreich.
Wie ich diese Frauen beneidete! Bei mir war es anders. Ich brauchte eine ganze Tafel Schokolade. Mindestens.
Heute habe ich meine Essstörung überwunden. Ein Stückchen Schokolade finde ich immer noch ein bisschen wenig 😉 aber mit einer Rippe finde ich durchaus mein Auslangen.
Was ist passiert?
Was ist heute anders als damals?
Was machen Menschen mit einem gesunden Körpergefühl und gesundem Essverhalten anders?
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Es brauchte eine Veränderung der Gedanken – und Handlungsmuster
Was ich lernte war, dass es nicht nur um die Menge an Schokolade ging. Es ging darum, auch viele andere Gedanken- und Handlungsmuster zu verändern.
Hier möchte ich ein paar Beispiele mit Ihnen teilen.
Die Ausgangssituation:
Ich kehre von einer 15 tägigen Afrika Reise zurück und die Waage zeigt 2,5 Kilo mehr an, als vor der Reise. Wir kommen an einem Freitag Anfang März nach einem Nachtflug gegen 5:30 am Flughafen in Wien an.
Mein heutiges Denken und Handeln:
Bereits während der Reise war mir bewusst, dass ich mehr aß, als mein Körper benötigte. Es war eine bewusste Entscheidung, das zu tun. Ich gönnte mir jeden Zuwinker (was genau das ist, lesen Sie im Buch „Essanfälle adé“) und aß bei jeder Mahlzeit über meinen Sättigungspunkt hinaus, war aber nie übervoll.
Als ich nach Hause komme, werden alle Katzen ausgiebig begrüßt, wie schön sie wieder zu sehen! Wie süß sie sind, wenn sie ihre Freude zeigen!
Ich stelle mich erst gar nicht auf die Waage, ich merke auch so, dass ich zugenommen habe.
Meine Selbstkommunikation lief dann ungefähr wie folgt ab:
[verständnisvoller Ton]
„Naja, damit war zu rechnen. Du kennst das ja eh von dir, auf Reisen kannst du schwer mit der Unsicherheit umgehen, wenn du nicht selbst beeinflussen kannst, wann und wo du etwas zu Essen bekommst. Dann isst du mehr als du brauchst, weil du Angst hast, zu verhungern.“
[liebevolles Schmunzeln]
„Ja, du weißt eh, wo das herkommt, aber auf Reisen kommt das eben noch durch.“
[verständnisvoller Ton]
„Außerdem beruhigt dich das Essen, auf Reisen bist du immer ein bisschen ungeerdet.“
[tröstender Ton]
„Diesmal hast du tatsächlich viel mehr gegessen, als du gebraucht hast. Es hat aber auch sehr gut geschmeckt und Spaß gemacht 🙂 Wow, und erst diese tollen Eindrücke, die Tierwelt war beeindruckend!“
[leicht verträumter Blick und Erinnerungen an die schöne Reise, Fokus auf das Schöne]
„Jetzt essen wir wieder ganz normal und wenn die Verdauung wieder normal ist, wird sich das schon wieder einrenken.“
[liebevolles mich selbst an die Hand nehmen]
„Außerdem weißt du aus Erfahrung, dass es dir im Alltag keinen Spaß macht, mehr zu essen als du brauchst, also kehre in deinen Alltag zurück, lass dir Zeit, wieder hier anzukommen, es war echt eine weite Reise mit vielen, vielen Eindrücken.“
[vertrauensvoller Zuspruch]
Ich wähle bewusst meine Cordhose aus, denn diese dehnt sich und ist schön weit. Dann suche ich mir meinen Lieblingsschal aus. Am nächsten Tag verwöhne ich mich mit einer selbstgemachten Haarpackung aus Avokado, damit meine von Wind und Sand strapazierten Haare wieder schön weich werden. Ich sorge gut für mich, die Reise war zwar schön, aber doch auch anstrengend.
Ich habe Geduld und Vertrauen, denn ich weiß, wenn ich wieder ganz normal, also meinen körperlichen Bedürfnissen entsprechend esse, bekomme ich ganz von selbst wieder das Gewicht, das ich vor dem Urlaub hatte.
Überhaupt achte ich gut auf mich, schlafe und ruhe ausgiebig, nehme mir nicht zu viel vor, denn die lange, schlaflose Rückreise sitzt mir noch in den Knochen. Ich mache einen leichten Waldspaziergang, mehr nicht. Mir ist es wichtig, mich noch gut zu erholen, bevor ich am Montag wieder zu arbeiten beginne.
Ich erinnere mich an die schönen Strandspaziergänge, wie gut es tat, den Sand zu spüren und das Meerwasser! Im Spiegel bemerke ich meine gesunde Bräune, auf die werde ich auch oft angesprochen. Da ich sonst eher blass bin, fällt die richtig auf, vor allem so kurz nach dem Winter 🙂
Ich achte genau auf Hunger und Sättigung und verzichte bewusst auf Zuwinker. Manchmal gelingt mir das nicht, z.B. als sich mein Freund in einem Café ein Stück Kuchen bestellt „muss“ ich einfach kosten. Ich stelle fest, dass mir der Kuchen eigentlich eh nicht schmeckt und gut ist.
In einer Zeitschrift entdecke ich einen interessanten Reisebericht über Afrika. Wie schön noch mehr über dieses Land zu erfahren. Das Lesen des Artikels hilft mir, meine Eindrücke noch weiter zu verarbeiten.
Am Abend habe ich noch Lust auf Snacks, ich rede mir liebevoll zu, dann lenke ich mich bewusst ab mit etwas anderem, das mir Freude bereitet: Ich höre ein Hörbuch streichle unsere Katzen. Das bedeutet, dass ich bewusst auf den Snack (in diesem Fall ein „Zuwinker“) verzichte und mir stattdessen einen anderen Lustgewinn gönne.
Ich schaue mir unsere zahlreichen Elefantenfotos an und erinnere mich an die liebevolle Kommunikation, die ich zwischen den Tieren beobachten konnte und auch durch die BBC Dokumentation über den Sheldrickwildlifetrust kennenlernte. Ich verarbeite die vielen Urlaubseindrücke und erfreue mich an ihnen.
In diese Zeit fällt mein Geburtstag und es folgen zwei Essenseinladungen, auf die ich mich sehr freue. Ich verlebe zwei schöne Abende und esse ein bisschen mehr als nötig, aber das ist OK. Auch das pendelt sich in den Tagen danach wieder natürlich ein.
Ungefähr zwei Monate nach dem Urlaub stelle ich mich wiedermal auf die Waage und sie zeigt wieder jenes Gewicht an, das ich vor dem Urlaub hatte. Das ist keine Überraschung für mich, denn ich konnte es sowieso fühlen.
In Summe also alles kein Drama.
Mein damaliges von der Essstörung geprägtes Denken und Handeln:
Während der Reise war jedes Essen, jedes Buffet mit großem Stress verbunden. Ich bemühte mich zusammenzureißen und hasste es, wenn ich nicht erfolgreich damit war. Manchmal gelang es mir, nur einen Salat zu essen, doch bereits am nächsten Tag schaufelte ich alles in mich hinein, bis ich übervoll war.
Kaum, dass ich zu Hause war, stellte ich mich sofort auf die Waage. Alles andere interessierte mich nicht. Ich war über die Zahl erschüttert.
[anklagender, schimpfender Ton]
„Das war ja klar. Du warst viel zu gierig und hast voll versagt. Du fette Sau. Deine ganze Diät von vor dem Urlaub war umsonst. Wie kann man nur so blöd und unfähig sein. Der Urlaub hat alles zunichte gemacht. Du hättest dich mehr zurückhalten sollen, ich hab´s ja gleich gewusst.“
Ich riss alle möglichen Hosen aus dem Kleiderschrank, probierte sie und fühlte mich unendlich dick. Ich hatte das Gefühl, dass mir nichts mehr passte. Schließlich wählte ich eine eng sitzende Hose, weil ich hoffte, weniger zu essen, wenn mich der Hosenbund in den Bauch kneiftet.
Ich machte Pläne für eine strenge Diät. Am besten nur Obst und Gemüse für die nächsten 5 Tage.
Im Spiegel bemerkte ich meinen dicken Bauch. Meine Aufmerksamkeit wanderte unter Tags immer wieder zu ihm hin: „Wie fett der ist! Vor dem Urlaub war der viel flacher. Boah, das war echt nicht nötig.“
[strenger Tonfall]
„Du musst jetzt hart zu dir sein, sonst siehst du bald genauso fett aus wie ein Elefant“.
Ich stellte mich am nächsten Tag wieder auf die Waage um mich zu kontrollieren. Ich hatte nur 200 Gramm weniger.
[hysterischer Tonfall]
„Siehst du, du wirst das Gewicht nie los, du wirst immer fetter. Du hättest im Urlaub wirklich vorsichtiger sein sollen. Ich hasse mich.“
Mein Freund bestellte in einem Café ein Stück Kuchen. In Gedanken hasste ich ihn dafür. Er weiß doch, dass ich auf Diät bin, wieso kann er mir nicht unterstützen?! Ich aß gierig den halben Kuchen, worauf eh schon alles egal ist und ich am Abend einen Essanfall hatte. Am nächsten Tag waren die 200 Gramm wieder oben plus 200 weitere. Ich war verzweifelt und bürdete mir eine noch strengere Diät auf. „Heute nur 5 Stück Obst, das muss reichen, sonst wird das ja nie etwas!!!“
In einer Zeitschrift war eine Diät beschrieben, ich überlegte mir, diese zu machen. Vielleicht sollte ich mir auch endlich die Yoga App herunterladen. „Ich muss mehr Sport machen!! Ich muss dieses sch**** Gewicht wieder loswerden!!“.
[anklagender Ton] „Du hättest echt mehr Bewegung machen sollen! Es war ja eh klar, dass du bei den Strandspaziergängen zu wenige Kalorien verbrannt hast!“
Ich zwang mich, jeden Tag nach der Rückkehr laufen zu gehen, es machte mir überhaupt keinen Spaß. „Ich muss die Kilos loswerden! In der Arbeit wird sonst jedem auffallen, wie sehr ich zugenommen habe!!“
Mein Freund zeigte mir die Urlaubsfotos und alles was ich denken kann ist „mein Bauch ist so fett, ich sehe bald wirklich aus, wie einer dieser Elefanten“.
[Angstvoller Tonfall]
„Im Mai fahren wir wieder weg, ich MUSS mein altes Gewicht davor erreichen. Wenn nicht, dann nehme ich dort noch weiter zu, wohin wird das führen?!“
Ich fürchtete mich vor meinem Geburtstag, da ich wusste, dass ich meine Diätpläne nicht einhalten würde. Tagelang davor versuchte ich zu fasten und beim Sport ein paar Zusatzkalorien zu verbrennen, damit ich bei den Geburtstagsessen mehr essen konnte.
In den folgenden Wochen kämpfte ich gegen mich und mein Gewicht, bis das Ganze auf der nächsten Reise oder aufgrund der nächsten Ausnahmesituation wieder von Vorne losgeht.
Das gleiche Ereignis – zwei unterschiedliche Reaktionen
Wie Sie sehen können, verändert sich auf dem Weg aus der Essstörung die Art und Weise, wie wir mit uns selbst umgehen und wie wir über uns denken.
Falls dieser Beitrag für Sie hilfreich ist, freue ich mich über Ihre Kommentare 🙂
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Weiterlesen:
- Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie schwer es mir fiel, gesundes Verhalten zu verstehen. Meine schräge Welt war einfach das, was ich kannte. Alles andere schien mir unendlich fremd. Daher schrieb ich noch einen weiteren Blog-Artikel zum Thema wie sich das Verhalten und Denken nach der Essstörung verändert: https://aivilo.at/2018/07/19/ein-leben-ohne-essstoerung/
- Und ich schrieb ein ganzes Buch über den Ausstieg aus der Essstörung: Essanfälle adé
Danke für diesen super authentischen Artikel!
Zeigt so deutlich, wie riesig der Unterschied in der Kommunikation mit uns selbst ist. Beim Lesen des früheren Handelns hab ich richtig gespürt wie eng die Strenge ist und beim ersten Teil wie weit und frei es sich anfühlt, liebevoll zu sich zu sein.
Die Ehrlichkeit direkt aus dem Alltag, ist sehr hilfreich, danke!
Ich kenne diese Gedanken zu 100%! Derzeit befinde ich mich im Aufbruch zu den positiven, schönen Gedanken! Doch es passiert mir leider noch oft, dass immer wieder Gedanken wie: Dafür isst du morgen nichts, oder nur dieses oder jenes oder oder oder …. kommen. Dann sage ich mir entweder: STOPP, ich muss mir nicht alles gefallen lassen, auch nicht von mir selbst! Nehme mein kleines Mädchen an der Hand und sage ihm mit einem liebevollen Blick: Komm, wir machen das gemeinsam, ich bin bei dir!