Frauen, die unter Essanfällen leiden, stellen sich häufig die Frage: Wieso?!
Bei Esssucht geht es ums essen. Natürlich, denn in der Esssucht dreht sich alles – und damit meine ich wirklich alles – um das „was darf ich essen“, „wann“, „wieviel“ und „werde ich davon dick“. Doch die Beschäftigung mit dem Essen und der Figur lenkt uns von dem ab, was da tiefer liegt. Doch was liegt denn da tiefer?
Es gibt ein paar Themen, die mir in der Begleitung von Frauen mit Esssucht immer wieder begegnen.
- Mangel
Mangel fühlt sich an, als wäre man ein Fass ohne Boden. Man kann einfüllen und einfüllen und trotzdem bleibt das Gefühl: Das ist zu wenig. Zu wenig Anerkennung, zu wenig Lob, zu wenig Liebe, zu wenig Glück, zu wenig Erfolg. Da hilft nur Essen, denn Essen füllt mich, Essen macht mich glücklich – leider nur kurze Zeit.
Langfristig gilt dem Fass einen Boden zu geben.
Ein Anfang wäre: Täglich vor dem Schlafen gehen, 5 Dinge überlegen, für die ich heute dankbar war.
Wichtig weiters Psychotherapie und/oder Körpertherapie, es geht um die nachträgliche Nährung des Mangels, der Seele. Sehr wichtig dabei: Geduld. Der Mangel braucht Zeit und stetige Zuwendung.
Manchmal geht es um ein neu bewerten der Vergangenheit: Habe ich wirklich so wenig bekommen, wie ich denke? Wenn ich tatsächlich so wenig bekommen habe, wie kann ich mir heute das was mir fehlt geben?
- Scham
Menschen mit toxischem Schamgefühl fühlen sich minderwertig und verachten sich selbst. Sie halten es nicht für möglich, dass sie irgendein Mensch genauso lieben könnte, wie sie sind. Komplimente anzunehmen ist fast unmöglich. „Die können doch nicht mich meinen, die irren sich!“
Deshalb werden Masken ausgesetzt und man versucht so zu sein, wie man denkt, dass es „gut“ und „richtig“ wäre. Doch tief im inneren spüren diese Menschen sehr deutlich die Maskarade, den tiefen Selbsthass, die gespürte Unzulänglichkeit.
Die Sucht hilft diese belastenden Gefühle auszuhalten.
Doch das Problem dabei ist, dass die Sucht die Scham erhöht: Je öfters Essanfälle auftreten, desto größer wird die Scham, die Situation nicht im Griff und schon wieder versagt zu haben.
Süchtige können sich nicht selbst lieben. Sie sind für sich selbst ein Gegenstand der Verachtung. Dies führt zu einer Verzerrung des Denkens. Sie denken, sie wären nur dann in Ordnung wenn … wenn sie gesünder essen würden, wenn sie erfolgreicher oder schlanker wären etc. Diese hohen Ziele sind jedoch nie erreichbar, wodurch die Scham noch größer wird. Ein Teufelskreis.
Was tun? Das Zauberwort heißt: Selbstliebe. Doch wie kann man lieben was man so hasst? Es ist ein Weg der kleinen Schritte. Beginnen kann man indem man mal überlegt, was man an sich eigentlich mag. Viele Menschen müssen hier sehr lange nachdenken. Macht nichts! Nehmen Sie sich die Zeit. Beobachten Sie und suchen Sie solange bis sie etwas finden. Das schreiben Sie dann in ein schönes Büchlein. Und forschen und suchen weiter.
Weiters gilt auch hier: Hilfe annehmen in Form von Psychotherapie und/oder Workshops.
- Kontrolle
Dieses Thema ist eng verbunden mit der Scham: Wenn ich das Gefühl habe, nicht zu genügen, dann kontrolliere ich mich damit ich werde, wie ich mich haben möchte: ich esse immer die perfekte Nahrung, immer bin immer gut drauf (nach außen), bin immer zu allen freundlich.
Die Kontrolle funktioniert eine Weile sehr gut … dann kommt der Essanfall, der komplette Kontrollverlust. Sich immer und ständig zu kontrollieren kann nicht funktionieren, deswegen haben wir Essanfälle. So weh diese tun, sie erlauben uns komplett von allen Ansprüchen loszulassen, auch wenn es nur für kurze Zeit ist.
Die Lösung liegt daran, uns anzunehmen wir wir sind. Wir kommen immer und immer wieder zum Thema „Selbstliebe“ zurück 🙂
- Führe ich das Leben, das ich möchte?
Dieses Thema ist ebenfalls eng verbunden mit Mangel und Scham. Denn wenn ich mich selbst hasse und immer spüre, das „alles“ zu wenig ist, wie will ich dann herausfinden, was ich möchte oder noch viel wichtiger: Wer bin ich eigentlich, hinter den Masken, hinter dem was andere von mir erwarten, hinter dem was ich so gerne sein würde? Wer bin ich?! Hier geht es um das, was innen drinnen ist, versus dem ewig nach außen gerichtetem. Es geht um die Frage: Habe ich es verdient, ein glückliches Leben zu führen?
Hilfreich ist auch hier wieder die Selbstbeobachtung: Bei welchen Aktivitäten, Themen werde ich hellwach? Wann werde ich tot müde? Kann ich beobachten, ob ich nach bestimmten Ereignissen (z.B. Treffen mit bestimmten Menschen, vor bestimmten Terminen) Essanfälle habe (ein gutes Zeichen dafür, dass an dem Ereignis etwas nicht stimmt und eine Änderung ansteht).
- Angst
Es macht weniger Angst sich „nur“ um Diäten Gedanken zu machen als sein Leben umzukrempeln. Das Leben mit Esssucht ist zwar nicht angenehm, aber wenigstens planbar: Ein paar Tage strenge Diät, dann ein Essanfall, dann der Selbsthass, dann wieder ein neuer Diätplan, wieder voller Elan einen neuen Diätplan ausarbeiten … Sich sein Leben ehrlich anzusehen kann Angst machen, denn das könnte bedeuten, dass man Änderungen vornehmen muss oder meint die Kontrolle zu verlieren. Kontrollverlust macht Angst. Diese Angst lähmt und ist manchmal schlimmer zu ertragen als die Grauslichkeit der Essanfälle.
- Körper
Der Körper ist Schauplatz der Esssucht. Auf dem wird alles ausgetragen. Er ist nie so, wie er sein sollte. Dies beobachte ich bei allen Klientinnen mit Esssucht, wirklich ganz egal ob die Frau Übergewichtig ist, normal gewichtig oder untergewichtig ist (wenn man sich hier nach dem Bodymaß Index BMI orientiert)
Interessant ist auch, dass es sich die normal gewichtigen und schlanken Frauen meistens genau 5 Kilo abnehmen möchten. Ich denke das ist weil dies ein Ziel ist, das erreichbar scheint aber doch schwerer zu erreichen ist als nur 2 Kilo. Also wie eine immer etwas zu hoch hängende Belohnung, wie wenn man sich den Erfolg nicht vergönnen könnte und immer etwas braucht, das einem stört, damit man da seine ganze Energie hineinlegen kann. (statt sie auf die Dinge zu lenken, die schmerzen können, siehe den Absatz über Angst)
Letztendlich geht es darum zu akzeptieren, dass wir ab dem Zeitpunkt wo wir älter als 20 werden und dann v.a. wenn wir Richtung 30 und darüber gehen, eben nicht mehr den Körper einer 16 jährigen haben können.
Wir müssen uns entscheiden: Akzeptieren wir die Makel oder wollen wir tatsächlich jeden Tag mehrere Stunden harten Sport machen und jeglichen Zucker weglassen? Eine androgyne Figur zu behalten hat ihren Preis, sind wir bereit den zu zahlen? Wenn nein, dann hilft kein raunzen, kein selbst hassen. Dann gilt es die Entscheidung zu akzeptieren und den Körper anzunehmen. Wissend, dass diesem Selbsthass auch eine verzerrte Wahrnehmung zugrunde liegt. Nein, keine Sorge, wenn Sie sich auf diesen Weg begeben, werden Sie nicht dick und fett werden. Ich z.B. habe heute 5-7 Kilo mehr als damals, wo ich mit der Esssucht begonnen hatte. Und fühle mich heute trotzdem schlanker und schöner als damals.
Wie akzeptiert man seinen Körper, den man doch so hasst? Auch hier wieder der Weg der kleinen Schritte. Gibt es vielleicht ein kleines Detail, das Sie heute schon an sich mögen? Wenn nein, suchen Sie so lange, bis Sie etwas finden. Und hier kann das: „Oh, also das hier ist ja schon mal ganz OK“ beginnen.
Zum Körper gehört auch Hunger / Sättigung wieder wahrnehmen und damit umgehen lernen.
Was kann aivilo bei diesen Themen für Sie tun?
Tja, was tut man nun mit dem Wissen um diese Themen?
Von Themen zu wissen schafft Bewusstsein, Erweiterung des Blickwinkels. Wenn man sich Themen bewusst wird, stößt man auch immer wieder – scheinbar zufällig – über entsprechende Angebote, Bücher, Seminare etc.
Bei aivilo gibt es unseren Workshops „Stopp den Esszwang“: Da lernen Sie Ihr Hunger / Sättigungsgefühl kennen und Ihren Körper spüren. Durch das „outen“ in der Gruppe nimmt die Scham ab, denn Sie spüren: Ich bin nicht alleine und andere nehmen mich trotz meines Makels an. Hilfreich ist auch zu sehen, dass Sie die anderen genauso wenig verurteilen. Der nächste Termin ist 16/17. Nov 2013
Dann gibt es die Einzelarbeit in der aivilo Praxis. Hier suchen wir gemeinsam den Zugang zu Ihren Körper. Wir geben Ihrem Körper Raum und Zeit seine Bedürfnisse auszudrücken.
Meine Esssucht Geschichte und meinen Ausweg daraus können Sie hier nachlesen: Online pdf zum bestellen
Im aivilo Blog finden Sie laufend Anregungen. Diesen Blog können Sie abonnieren, sodass Sie per Mail über aktuelle Postings informiert werden. Diese finden Sie auch auf Facebook, wenn Sie sich mit „aivilo – ankommen im Körper“ befreunden.
Wenn Sie nach Psychotherapie suchen: Ich arbeite seit Jahren erfolgreich mit der Psychotherapeutin Doris Nowak-Schuh zusammen, die ich wärmstens weiterempfehlen kann.
Liebe Olivia!
Es ist mir ein Anliegen dir zu deinen Gedanken zum Thema Binge Eating zu gratulieren! So auf den Punkt gebracht, mit realistischen Lösungsansätzen und wertschätzend formuliert – einfach toll!
Du machst damit sicher vielen Frauen Mut, so wie du mir immer Mut gemacht hast. Du machst eine tolle Arbeit und bist eine tolle Frau!!!
Ganz liebe Grüße,
L.
Kann mich dem Kommentar von L. nur anschließen:
großartiger Artikel 🙂