Oft wünschen wir uns das Rad der Zeit vorauszudrehen. Beispielsweise wenn wir in einer Situation stecken, die wir nicht mögen, oder wir einen großen Wunsch haben, der sich momentan nicht erfüllt, oder wir gerne schon heute den Ausgang einer Situation wissen möchten. Beispiele gibt es in meiner Praxis genug: Kinderwunsch, Singles die nicht mehr alleine sein mögen, Esssucht, ….
Dazu eine Geschichte, die mit dem Umgang der Zeit zu tun hat:
Es war einmal ein junger Bauer, der wollte seine Liebste treffen. Er war ein ungeduldiger Geselle und viel früher zum Treffpunkt gekommen. Er verstand sich schlecht aufs Warten. Er sah nicht den Sonnenschein, nicht den Frühling und die Pracht der Blumen. Ungeduldig warf er sich unter einen Baum und haderte mit sich und der Welt.
Da stand plötzlich ein graues Männlein vor ihm und sagte: „Ich weiß, wo dich der Schuh drückt. Nimm diesen Knopf und nähe ihn an deine Jacke. Und wenn du auf etwas wartest und dir die Zeit zu langsam geht, dann brauchst du nur den Knopf nach rechts zu drehen, und du springst über die Zeit hinweg bis dahin, wo du willst.“
Der junge Bauer nahm den Zauberknopf und drehte. Und schon stand die Liebste vor ihm und lachte ihn an.
Er drehte abermals und saß mit ihr beim Hochzeitsschmaus. Da sah er seiner jungen Frau in die Augen:
„Wenn wir doch schon allein wären…“
„Wenn unser neues Haus fertig wäre…“
Und er drehte immer wieder.
Jetzt fehlten noch die Kinder und er drehte schnell am Knopf. Dann kam ihm neues in den Sinn und er konnte es nicht erwarten. Und drehte, drehte, dass das Leben an ihm vorbeisprang, und ehe er sich’s versah, war er ein alter Mann und lag auf dem Sterbebett.
Er merkte, dass er schlecht gewirtschaftet hatte. Nun, da sein Leben verrauscht war, erkannte er, dass auch das Warten des Lebens wert ist. Und er wünschte sich die Zeit zurück.
Heinrich Spoerl (dt. Schriftsteller, 1887-1955), gefunden auf Facebook (Ich-Tempo)
Liebe Olivia,
Nach längerer Zeit schreibe ich nun nochmal, weil meine Situation mich dazu veranlasst. Anfang Dezember habe ich zwei verzweifelte Mails an dich geschrieben und darauf wunderbare Antworten erhalten, die mir Mut und Trost gegeben haben. Die Weihnachtszeit war Essenstechnisch im Nachhinein horrormäßig für mich. Es waren keine krassen Essanfälle die mich quälten, sondern das wahllose, übermäßige Essen, was an Neujahr darin gipfelte das ich mich nur noch schlecht fühlte. Aufgedunsen, dick, schwerfällig und meine Verdauung sagte mir auch eindeutig das ich etwas ändern muss. Ja, ich hatte auch deutlich zugenommen, was in an meinen Klamotten merkte und auch das machte mich fertig. Interessanterweise verspürte ich nach der lang andauernden Völlerei Lust auf gesundes Essen (Viel Salat, Vollkornbrot, Gemüse, wenig Fett etc.). Die Dinge also, die im Allgemeinen unter Diätkost laufen. Ich hatte kein Problem damit mich von Vollkorn, Salat, Gemüse etc. zu ernähren und komplett auf Süßes zu verzichten. Am Wochenende war auch mal Mc Donalds oder Pizza drin, da hatte ich dann aber auch Lust drauf und es schmeckte wieder.
Ich fühlte mich wunderbar, stark, leicht etc. ohne auf etwas zu verzichten. Ich hatte das Gefühl, dass das nun mein Durchbruch ist und ich zu meiner Balance gefunden habe. Sogar wenn es mir schlecht ging, brauchte ich keine Kalorienbomben etc. Bis letzten Freitag (18.1.). Ich hatte eine heftige Auseinandersetzung mit meinem Freund, die sicherlich gut und reinigend war. Manchmal ist sowas wichtig. Abends bestellten wir Pizza und er wollte unbedingt noch einen Eisbecher (500 ml) dazu haben. Ich wusste an diesem Abend genau, ich würde das Eis mitessen müssen. Ich spürte das ich nicht würde nein sagen können. Ich aß also den halben Eisbecher und fühlte mich komisch danach. „Gut“ dachte ich „es war ja klar, dass du nicht für immer auf Süßes verzichten wirst“. Danach ab dem nächsten Morgen fand ich wieder in meine Balance zurück, aber ich spürte, die Hemmschwelle wieder hemmungs-und wahlloser zuzuschlagen, war deutlich gesunken. Die letzte Woche hielt ich durch, dachte an deine Worte, dass man schlechte Gefühle auch mal versuchen kann auszuhalten und der Essensdruck ja auch irgendwann wieder verschwindet. Ich konnte die schlechten Gefühle aushalten und spürte, dass der Essdruck auch irgendwann nachließ. Gestern Abend war es dann wieder so weit, dass ich dem Druck nachgab und zwei Milka Tender, so wie Gummibärchen und Erdnüsse nach dem Abendessen über den Abend verteilt aß. Ich fühlte und fühle mich furchtbar! Nach langer Zeit (das letzte Mal im Sommer) ging ich heute nochmal auf die Waage und war überrascht, dass ich seit Jahresbeginn doch offensichtlich abgenommen habe. Das macht mir nun wieder Mut, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Ich merke sofort wenn ich über die Strenge schlage. Mein Bauch fühlt sich schwer und sauer an, meine Verdauung ist schlechter, meine Stimmung sowieso. Ich bin schon so weit gekommen, habe so viel Therapie hinter mir, Erfahrungen gesammelt und trotzden unglaubliche Angst vor mir selbst, vor meinem Hunger und das ich niemals in eine Balance finden werde.
Hast du in dieser Situation ein paar Tipps für mich? Ich bin so unendlich geduldig, versuche auf mich und meinen Körper zu hören, spreche liebevoll mit mir (auch wenn ich es noch nicht glauben kann), versuche schlechte Gefühle auzuhalten, lasse aber ,wenn es nicht anders geht, das Essen zu und irgendwie habe ich das Gefühl mich im Kreis zu drehen. Wieviel geduldiger kann ich noch sein?
Herzliche Grüße E.
Liebe E.,
zunächst einmal herzliche Gratulation, dass Du so dran bleibst!! Dass Du Dich Deinen Gefühlen stellst, nachspürst, neues probierst. Das ist SUPER und genau das ist der Weg!
Super auch, dass es keine „krassen Essanfälle“ mehr gab, genau das ist was ich meine mit die Qualität der Essanfälle wird sich ändern.
Es ist halt so, dass der Weg dauert. Und er dauert und dauert. Und der Weg macht Schleifen. Es ist ein sich kennen lernen. Üben mit Gefühlen umzugehen. Ich kann Dir nur empfehlen: Weitermachen und dich mit dem Thema Selbstliebe beschäftigen und weiter mir Körper und spüren.
Was mir auffällt ist, dass Du noch sehr detailliert an Essensmengen fest hälst, an dem was genau du gegessen hast und an dem was die Waage sagt. Das sind alles Symptom-Dinge. D.h. Du scheinst das zählen und bewerten, messen und wiegen noch zu brauchen für Deine Kontrolle. Das ist ein Thema der Selbstliebe. Was brauche ich, damit ich weiß ich bin OK?
Letztendlich geht es darum, zu spüren, was der Körper braucht, statt zu zählen.
Es geht auch nicht um den Eisbecher sonder darum, was an Gefühl für Dich so belastend war, dass Du es nicht aushalten konntest.
Weiters fällt mir noch auf, dass es noch scheinbar sehr hohe Hochphasen gibt und dann wieder tiefe Tiefphasen gibt und beides mit Essen verbunden ist. Langfristig wird sich das ein bißerl nivellieren.
Es geht nicht um durchhalten im Sinne von sich zwingen keine Essanfälle mehr zu haben. Sondern durchhalten im Sinne von spüren, immer wieder spüren und vor allem lieb zu sich zu sein.
Es geht darum, sich auch mal zuzugestehen: Ja, ich hatte einen riesen Streit und ich fühle mich echt mieß und ja, hier hilft eben nur ein Eis und basta. Es geht also sehr starkt um die innere Bewertung des Essanfalls. Nämlich dass man manchmal dieses Eis einfach braucht. Klar könnte man sich zwingen ihn nicht zu essen. Aber meine Güte! Wir sind keine Models und daher muss man nicht jede Rippe abzählen können, nicht wahr 🙂
Langsam wird das Vertrauen wachsen, dass wenn Du an einem Tag viel isst, Du ganz von selbst am nächsten gar nicht so viel haben möchtest, aber das wird noch ein bißchen dauern.
Kennst Du das Buch „Essen als Ersatz“ von der Geneen Roth? Super Buch!!
8./9. März ist wieder unser Worskhop. Wir haben übrigens immer wieder Frauen, die aus Deutschland anreisen und das Seminar mit einem Wien-Besuch verbinden, eine wirklich schöne Stadt 🙂
Hoffe Dir damit geholfen zu haben!
Liebe Grüße aus Wien,
Olivia