Es gibt ein Leben nach der Esssucht. Viele träumen davon. Doch ganz wichtig zu wissen ist: Wenn die Esssucht vorbei ist, heißt es nicht, dass man den ganzen Tag nur noch fröhlich und kraftvoll durch die Welt springt.
Das Leben bedeutet Herausforderung und Veränderung. Manchmal bedeutet Leben auch, dass wir Schmerzen erleiden, körperliche wie seelische. Das sind Naturgesetzte des Lebens! Es ist eine Illusion zu glauben, dass wenn die Esssucht weg ist, dass auch all das weg ist. Nein. Auch wenn die Esssucht weg ist, wird es noch Unsicherheiten, Liebeskummer, Verletzungen, Trauer, Wut , Jobverlust, Streitigkeiten und all das geben.
Was anders ist, ist der Umgang in diesen Situationen: Da wird dann z.B. geweint bei Trauer (statt zu essen), aufgestampft bei Wut (statt zu essen), starr dagelegen bei Entscheidungsunfähigkeit (statt zu essen), ganz lieb mit sich umgegangen bei Unsicherheiten (statt zu essen), geschlafen bei Müdigkeit (statt zu essen) etc.
Beim Ausstieg aus dem Esszwang geht einerseits darum, adäquat mit Gefühlen umzugehen (statt zu essen).
Andererseits geht es auch darum, Frustrationen und ungute Gefühle auszuhalten. Zu verstehen, dass auch das zum Leben dazugehört. Auf diesem Weg ist z.B. die EKT nützlich. Hier schauen wir uns diese ungeliebten Gefühle an und merken: Ich kann sie aushalten, es passiert nichts! Ganz im Gegenteil: Wenn ich sie annehme und Teil von mir sein lasse verlieren sie sogar ihren Schrecken.
Als Erfolg am Weg aus der Esssucht ist also jedes Mal, wo wir es schaffen, ein Gefühle auszuhalten bzw. adäquat zu agieren (statt zu essen). Es geht nicht darum den Essanfall zu vermeiden, denn der ist nur ein Zeichen dafür, dass das mit dem aushalten bzw. adäquat ausreagieren noch nicht ganz so funktioniert. Es geht darum die Essanfälle hinzunehmen und parallel daran zu arbeiten Gefühle adäquat auszudrücken bzw. auszuhalten. Es geht darum sich selbst sein zu lassen, mit allen Licht UND Schattenseiten.
Neben dem Zulassen und adäquatem Reagieren auf Gefühle ist ein wesentlicher Punkt am Weg aus der Esssucht der Hunger der Seele. Diese unendliche innere Leere, die schier niemals gestopft werden kann. Doch auch die ist – ebenso wie das unkontrollierbare Essen – ein Symptom, nicht die Ursache. Wenn wir lernen zu uns zu stehen und unsere Gefühle sein zu lassen, dann darf auch unsere Seele sein. Sie wird genährt und darf sich erholen sodass das tiefe Loch und damit der Esszwang irgendwann verschwindet.
Schlussendlich ist noch wichtig zu wissen: Auch ohne Esssucht kommt es manchmal vor, dass man einfach mal zu viel isst. Einfach mal auf Frust mit einer doppelten Ladung Schoko-Palatschinken reagieren, einfach mal die Trauer mit einer großen Portionen Eis streicheln.
Was anders ist, ist der Umgang. Es sind dann keine unkontrollierbaren Essattacken mehr, kein grausliches gieriges in sich hinein Schlingen. Es ist eine relativ bewusste Entscheidung eben mal nicht bewusst konstruktiv handeln oder aushalten zu müssen. Auch die logischen Konsequenzen (voller Bauch, Trägheit, ggf. ein spannender Hosenbund) werden akzeptiert statt sie wett zu machen (z.B. durch erbrechen). Was aufhört ist das sich selbst fertig machen und anklagen. Es ist kein „mir ist das passiert“ mehr, sondern eher ein „das gönne ich mir heute bewusst“. Man ist dann nicht mehr unendlich böse auf sich sondern weiß, dass man das eben mal gebraucht hat.
Liebe vermag viel zu heilen und gelebte Selbstliebe ist die Basis dafür!
Hallo liebe Olivia,
heute möchte ich Dir noch einmal eine Rückmeldung schicken. Deine Publikation hatte ich natürlich noch am selben Abend völlig verschlungen. Wie schon erwähnt, es tat so gut, das Gefühl zu haben, nicht alleine zusein. Hat es mir etwas gebracht? Oh ja, hat es. Wie Du schon beschrieben hast, geht „es“ nicht von heute auf morgen weg. Aber einige kleine Steine konnte ich schon aus dem Wege räumen. Ganz überraschend war die Aussage von Dir, dass die Esstörung nicht umsonst bei mir ist, dass sie für etwas steht. Das hat mich sehr zum Nachdenken gebracht und zum forschen. Dabei dachte auch ich immer, dass ich noch nicht die richtige Diät gefunden habe, mit der „es“ weggeht.
Ich bin ein großes Stück vorangekommen in Punkto meinen Körper zu akzeptieren. Das hat mir sehr gut geholfen. Und auch, dass ich essen darf. Ja, ich darf essen. Was natürlich schwieriger war, ist den Hunger wieder zu spüren. Und zu spüren, wann ich satt bin. Dies ging in der Vergangenheit völlig unter. Hunger brauchte ich eigentlich gar nicht. Ich habe aus tausend Gründen gegessen, nur nicht aus Hunger. Eigentlich wirklich unfassbar. Ich finde, das Gefühl „satt-sein“ ist sehr zart, wie schnell überspürt oder überhört man es. Ich lerne, wieder auf mich zu achten. Nein zu sagen, es nicht allen recht zu machen. Ein Stück befreiend war es auch, so sein zu dürfen, wie ich bin. Ich wollte mich seit meinem 14. Lebensjahr verändern. Nie hab ich mir gefallen, das zu groß, das zu klein, die Schenkel zu dick. Tatsächlich sagte mir mal ein Freund, den ich damals sehr geliebt hatte „wenn Du dünner wirst und Dein Haar länger ist, dann heirate ich Dich“. Heute lache ich darüber, aber damals war ich kreuzunglücklich und wollte abnehmen. Als es dann soweit war und ich mir tatsächlich 8 kg runterhungerte, mein Haar halbwegs wieder länger war, sagte er „nee, jetzt bist Du mir zu dünn, vorher hast Du mir besser gefallen“. Nach der Trennung bin ich sofort zum Friseur und ließ mir einen raspelkurzen-Kurzhaarschnitt. Aus Protest. Und aus Protest futterte ich bis zum Umfallen.
Und Sport war nur dazu da, um mich endlich in die richtige Form zu bringen. Es gab nur zwei Phasen in meinem Leben, wo ich loslassen konnte, mich wohl geführt habe und einfach so sein konnte, wie ich war. Wann war das? Einmal als ich schwanger war (nun gut, Familienplanung ist abgeschlossen, der Zustand wird nicht mehr wiederkehren) und das andere Mal als ich aus Geldknappheit für die Monatskarte auf das Fahrrad ausgewichen bin und 40 Minuten morgens hin zur Arbeit und 40 Minuten abends zurück gefahren bin. Am Anfang hat es mir kein Spaß gemacht, aber dann, nach 2 Wochen fand ich Spaß daran. Und ich fühlte mich einfach super. Unglaublich, endlich fühlte ich mich super. Durch die viele Bewegung nahm ich ganz von alleine etwas ab. Und mir ist es erst gar nicht aufgefallen. Andere haben mich angesprochen und gefragt, wie ich das gemacht habe. Dies zog ich dann bestimmt 3 Jahre durch, bin also grundsätzlich von April bis September teilweise Oktober mit dem Fahrrad gefahren. Als ich dann schwanger war, hörte ich damit auf, da ich ängstlich war. Heute ist mein Arbeitsweg leider zu weit, um mit dem Rad zu fahren. Der Verkehr ist auch ziemlich heftig geworden hier in der Großstadt.
Zurück in die Gegenwart: Ich habe mich bei einem Nordic-Walking-Kurs angemeldet; aus Spaß. Nicht zum Abnehmen, sondern weil ich etwas für mich tun möchte. Nur für mich. Etwas wo ich abschalten kann und Spaß habe. Und ich gehe einmal die Woche ins nahegelegende Schwimmbad zum Aqua-Fitness. Macht ein Haufen Spaß. Es hat ein bisschen gedauert, bis mein Freund das so akzeptiert hat. Komischerweise verabredete er sich plötzlich an einem Dienstag, wo mein Aqua-Tag war. Aber ich bin hartnäckig geblieben und habe keine einzige STunde versäumt. Heute ist es ganz normal, dass die Mama dienstags im Schwimmbad ist. Mittlerweile gehe ich mit meiner Tochter Badminten spielen, schwimmen und ich habe einen Garten, wo ich Gartenarbeit machen kann. Dies alles macht mir Spaß und dabei kann ich Stress abbauen.
Auch auf Arbeit nehme ich nicht mehr alles persönlich. Wenn etwas nicht geklappt hat, bin völlig fertig nach Hause ab an den Kühlschrank. Heute betrachte ich alles als ein Vorgang, der erledigt werden muss. Mit mir persönlich hat es nichts zu tun. Und ich lerne immer besser, von der Arbeit abzuschalten.
Dann kommt hinzu, dass Deine Buchtipps absolut spitze waren. Ich habe mir von Susie Orbach „Anti-Diät-Buch“ gekauft. Ich bin fast vom STuhl gefallen, so sehr traf es den Nagel auf den Punkt. Zwar ist das Buch aus den 70igern, aber ich bin erschrocken, wie aktuell es heute noch nicht.
Gerne würde ich Dein Seminar besuchen; aber es ist für mich unerschwinglich und der Anfahrtsweg ist zu groß. Aber wie gesagt, ich stöbere gerne auf Deiner Seite herum, wenn es mir mal nicht so gut geht.
Viele interessante Artikel zum Thema Esstörungen habe ich auch auf der Homepage der Frauenzeitung „EMMA“ gefunden. Dies hat mich auch richtig weit nach vorne gebracht. Emma hat teilweise auch Sonderausgaben zum Thema Esstörungen herausgebracht. Wirklich unglaublich.
Ich denke, ich bin auf dem richtigen Weg. Ich gehe ihn weiter. Meine Waage? Die habe ich in den Karton gepackt und unter das Bett gestellt. Die brauche ich nicht mehr. Niemals mehr lasse ich mir von einer Zahl sagen, ob es ein guter Tag oder ein schlechter werden wird. Adieu Weight Watchers, schade ums gelassene Geld. Die hätte ich lieber für Klamotten ausgeben sollen. Aber egal, es gehört zu den Erfahrungsschätzen dazu.
Du hast geschrieben, die Essstörung kommt meistens abends. Das stimmt. Ganz leise und heimtückisch. Und bei mir grundsätzlich immer n a c h dem Abendbrot. Komisch, dass es immer danach ist. Dann sperre ich meinen Antennen auf uns frage mich, was heute so los war, warum ich essen will. Oder ich komme nach Hause und weiß schon, dass ich „gefährdet“ bin. Dann gehe ich manchmal nach dem Abendbrot einfach nicht mehr in die Küche oder ich stecke so viele Kaugummis in den Mund, dass mir vor Pfefferminzgeschmack fast schlecht wird. Aber es hilft. Die Gier verschwindet und am nächsten Tag ist alles wieder prima. Sozusagen funktioniert „es“ tatsächlich als RAdar. Du hast auch geschrieben, dass die Mengen kleiner werden. Das stimmt. Wenn ich heute einen FA habe, dann bei weitem nicht mehr in der Menge, wie es noch vor einem halben Jahr war. Das alles sind Fortschritte, große Fortschritte. Sie machen mich stolz. Ich habe ein Notizbuch, das ich immer bei mir habe. Meistens schreibe ich vor oder nach der Arbeit dort hinein. Es hilft mir, etwas gährendes in mir in Worte zu fassen und auszudrücken. Meistens ist dann auch die Spannung aus meinem Körper raus. Ich glaube, ich möchte durch das Essen irgendeine innere Anspannung wegmachen. Dies alles war mir aber früher alles nicht so bewusst.
Mir war es wichtig, Dir noch einmal zu schreiben, wie sehr Du mir geholfen hast. Praktisch aus der Ferne. Dafür sag ich danke.
Alles Liebe für Dich.
Ganz lieben Gruß sendet Dir K. 🙂