„Ich weiß, ich müsste achtsamer essen und sollte nebenbei nicht lesen / fernsehen.“

Man liest und hört ja praktisch überall, dass achtsames Essen wichtig sei, um ein gesundes Essverhalten zu erreichen.

Dennoch gelingt es vielen nicht, alle Ablenkungen während des Essens abzuschalten.

Vielleicht ist das in dieser Strenge aber auch gar nicht notwendig!?

Statt in schwarz/weiß zu denken, lass uns dieses Thema differenzierter beleuchten.

Dieser Blog-Artikel ist für dich, wenn du beim alleine essen
das „nur Essen ohne Ablenkung“ nicht hinbekommst und
dich deswegen Schuldgefühle plagen.

Achtsames Essen
Dieses Bild nahm mein Vater beim Italien Urlaub in den späten 70ern auf.

Worum geht es beim achtsamen Essen?

Lass uns zunächst beleuchten, wozu das achtsame Essen eigentlich erstrebenswert ist.

Kurz gesagt geht es darum, dass du mit deinem Körper während des Essens in Verbindung bleiben kannst, um dessen Bedürfnisse spüren zu können.

Hier ein paar Fragen, die alle so oft wie möglich ein „ja“ verdient haben:

  • Ist deine Essensumgebung stressfrei genug, sodass du in Ruhe essen kannst?
  • Hast du genügend Zeit und Muße, um Genuss wahrzunehmen? Schmeckt dir eigentlich, was du gerade isst?
  • Ermöglichst dir dein Essenstempo, dass du riechen und schmecken kannst, was du gerade isst?
  • Kaust du dein Essen ausreichend, sodass du es gut schlucken kannst?
  • Hast du die Zeit und die innere Ruhe immer wieder in deinem Körper einzuchecken, sodass du das Verschwinden deines Hungergefühls und das Aufkommen deiner Sättigung erforschen kannst?

Achtsame Basics des Essens

Es gibt ein paar Basics die wichtig sind, um den achtsamen Umgang mit deinem Körper und deinen Körperempfindungen während des Essens überhaupt erst zu ermöglichen.

Dazu zählen:

  • Genügend Zeit, damit du deine Mahlzeit oder deinen Snack in Ruhe einnehmen kannst
  • Essen überwiegend im Sitzen, um deinen Körper das Signal zu geben „ich esse“
  • Essen an einem für dich möglichst angenehmen Ort
  • Möglichst stressfreier Rahmen, also z.B. keine Arbeit, keine schwierigen Gespräche.

Im empfehle dir, diese Punkte solange zu üben, bis sie selbstverständlich für dich geworden sind.

Mehr über diese Basics, die Art und Weise des Essens und auch über das Essen mit anderen Menschen kannst du in meinem Buch „Essanfälle adé“ erfahren.

Der Stress mit den zu hohen Ansprüchen

Ein gestörtes Essverhalten bedeutet nicht nur, dass man ein Thema mit dem Essen hat.

Es bedeutet auch, dass man ein Thema mit sich selbst als Ganzes hat: Das führt zu vielen Be- und Verurteilungen des eigenen Seins und Tuns.

Das fügt unseren Alltag enorm viel Stress hinzu.

Die Doktrin „niemals lesen / fernsehen während des Essens“ kann vor diesem Hintergrund einiges auslösen:

  • Scham und schlechtes Gewissen, wenn der Vorsatz nicht lückenlos eingehalten wird
  • Selbsthass, wenn wieder einmal etwas nicht geschafft wurde, von dem so viele sagen, dass es wichtig sei
  • Stress nach jeder einzelnen Mahlzeit, die wieder „falsch“ eingenommen wurde.

Essen ohne Ablenkung als bewusste Übung

Essen ganz ohne Ablenkung ist eine sehr, sehr wichtige Übung, um deine Sinne und deine Körperempfindungen zu entdecken und eine Verbindung zu deinem Körper aufzubauen.

Vor allem wenn du auf deinem Weg aus der Essstörung bist, gehört diese Übung dazu, um ein bewusstes Essverhalten zu erlernen. Das Essen ohne Ablenkung ermöglichst dir, auf deine Nahrung und auf deine Körperbedürfnisse zu achten.

Die Betonung liegt für mich auf dem Wort „Übung“.

Solcherlei Achtsamkeitsübungen führt man hin und wieder durch, um etwas zu lernen und sich weiterzuentwickeln.

Doch wie sieht es im Alltag aus?

Achtsames Essen im Alltag

Den Anspruch, die Übung „mich völlig auf das Essen konzentrieren“ bei jeder einzelnen Mahlzeit, bei jedem Snack des Tages durchzuführen, finde ich persönlich viel zu hoch.

Denn Essen ist auch Alltag, nicht nur strenge Übung.

Essen muss nicht jedes Mal eine große Sache sein. Essen und Körper spüren darf mehr und mehr zur routinierten, schönen Selbstverständlichkeit werden. Selbstverständlich aber nicht nebensächlich!

Essen darf und soll Freude machen.

Zu dieser Freude zählt für mich nicht nur das Essen, sondern auch das Rundherum.

Ich persönlich finde es irgendwie deprimierend / langweilig / freudlos, ohne ein menschliches Gegenüber zu essen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass Essen traditionell eine Tätigkeit in Gesellschaft ist?

Ziele des achtsamen Essens neu formulieren

Nachdem ich mich selbst viel zu lange dafür gescholten habe, nicht jeden Bissen 32x achtsam und ohne Ablenkung zu kauen, war es für mich eine riesen große Erleichterung, die Fragestellung des Achtsamen Essens umzukehren:

Wenn ich alleine aß, zwang ich mich nicht mehr, mir das Lesen oder Fernsehen während des Essens abzugewöhnen.

Stattdessen fragte ich mich:

Wenn es ohne lesen / fernsehen scheinbar nicht geht,
was genau kann ich lesen / fernsehen,
damit ich dennoch achtsam (genug) mit dem Essen
und meinem Körper verbunden bleiben kann?

Welcher Medienkonsum stört dein achtsam-Sein mit dem Essen?

Welche Art von Medienkonsum zu viel ist, um achtsam beim Essen und deinen Körperempfindungen zu bleiben, ist individuell und darf von dir in der nächsten Zeit erforscht werden.

Wenn ich alleine mit mir bin und esse, lenken mich folgende Dinge zu sehr vom Spüren ab:

  • Arbeit
  • Nachrichten und jeder für mich schwer verdaulicher Input
  • Mails beantworten, SMS schreiben oder jegliche sonstige Online-Kommunikation
  • TV-Zappen (das lenkt mein Hirn zu sehr ab)
  • Mit einer Hand am Handy wischen (also Handy-Zappen)
  • alles wo Bilder rasch wechseln bzw. rasche Schnittfolge
  • zu viel Content auf einmal
  • alles, was ich nicht mittendrin, also wenn mein Essen fertig ist, abschalten kann
  • zu viel Werbung
  • Zu spannender Input (also z.B. spannende Serien), denn die lenken mich zu sehr ab vom Essen

All das lasse ich also während des alleine Essens.

Apropos Smartphone: Über mögliche Zusammenhänge von Essstörung und zu viel Handy-Zeit habe ich in diesem Blogartikel geschrieben.

Welcher Medienkonsum ist mit dem achtsamen Essen vereinbar?

Was bleibt also? Für jeden und jede ist das individuell.

Für mich ist es das Folgende, wenn ich alleine esse:

  • Die VOX-Sendungen Shopping Queen oder Tüll und Tränen, für mich schön seicht, alle haben gute Laune, kein Body-Shaming.
  • alte Serien, die im Prinzip immer gleich sind, wie z.B. „Ghost Whisperer“
  • Analoge Zeitschriften mit vielen Bildern zum Durchblättern.
  • Leichte Artikel der Wochenzeitschrift Falter (analog)
  • Seichtes Hörbuch hören.

Du darfst dir den Druck nehmen

Ich habe schon oft erlebt, dass meinen Klientinnen eine große Last von den Schultern fiel, wenn ich sagte: „Ich schaue Shopping Queen beim Essen.“

Es geht darum, dass du dir möglichst viel Druck nimmst und deine Ansprüche an dich selbst immer wieder prüfst. Das widerspricht sich keineswegs mit einem gesunden, achtsamen Lebenstil!

Du brauchst nicht perfekter als Perfekt sein, sondern einfach nur ein Mensch.

Ich freue mich über dein Kommentar

Magst du erzählen, wie es dir mit dem ohne-Ablenkung-Essen geht? Schaffst du es, wenn du alleine isst, immer ganz ohne Ablenkung zu essen?

Falls nein, welcher Medienkonsum tut dir gut, während des Essens?

Ich freue mich von dir zu lesen und schicke liebe Grüße aus Wien!